Internationale Schostakowitsch-Tage in Gohrisch
Die Entstehungsgeschichte
von Stephanie Hurst
Seit meiner Studienzeit in den 1980er Jahren kenne ich den Schriftsteller Uwe Dick und seine Werke. Als ich ihn Ende der 1990er Jahre zum ersten Mal in seinem Haus in Perlesreut im Bayerischen Wald besuchte, fiel mir eine Fotografie in seinem Arbeitszimmer auf, die Dimitri Schostakowitsch in einem Park oder Garten zeigte. Sie fiel mir auch deswegen auf, weil ich im Übrigen fast nur gemalte Bilder an den Wänden gesehen hatte.
Einige Jahre später habe ich ihn und seine Frau nach Dresden eingeladen. Er sagte zu – machte aber zur Bedingung, dass er den Aufenthaltsort von Dimitri Schostakowitsch in Gohrisch sehen wolle. Ich war einigermaßen erstaunt, dass ihm dieser kleine Ort bekannt war, Ich selbst lebte damals schon etwa 15 Jahre in Dresden und war oft in Königstein, dem viel bekannteren Nachbarort von Gohrisch. Von Gohrisch hatte ich kurz davor zum ersten Mal richtig Notiz genommen, bei einer Führung über den ersten bodenkundlichen Lehrpfad Sachsens, der am Fuß des Gohrischsteins angelegt ist.
Uwe Dick erläuterte, dass er einen Artikel von Bernd Feuchtner gelesen hatte, der in der Zeitschrift Partituren (Heft 1, 2005) erschienen war. In dem Artikel wurde über zwei Aufenthalte von Dimitri Schostakowitsch in Gohrisch berichtet. Beim ersten Aufenthalt im Jahr 1960 hatte er sein achtes Streichquartett dort komponiert. Bernd Feuchtner hatte sich in dem Beitrag bedauernd über den schlechten Zustand des ehemaligen Regierungsheimes geäußert, in dem Dimitri Schostakowitsch gewohnt hatte, und den Umstand, dass nichts darauf hinwies, dass der Komponist sich dort aufgehalten hat.
Wir – Uwe Dick, seine Frau Antonie und ich – fuhren im September 2008 also gemeinsam zu dem inzwischen als Hotel genutzten Gebäude in Gohrisch. Wir sahen uns auf dem idyllisch am Waldrand gelegenen Gelände um und setzten uns schließlich ins Frühstückszimmer des Hotels, um dort einen Kaffee zu trinken. Wir fragten den Kellner, ob man das Zimmer des Komponisten besichtigen könne. Der Kellner holte sich die Erlaubnis seiner Chefin und den Schlüssel für das Zimmer und zeigte es uns. Er zeigte uns auch den früheren Frühstücksraum, einen halbkreisförmigen Raum mit hohen Fenstern zum Wald und einer kleinen Empore, der auch als Konzert- und Tanzraum gedient hatte. Uwe Dick war begeistert von der Architektur und entwickelte die Vision, dass man hier Veranstaltungen organisieren könnte um die Werke von Schostakowitsch (zum Beispiel in Kammerkonzerten) aufzuführen und über sein Leben und Wirken (zum Beispiel in Lesungen) zu berichten.
Uwe Dicks eigenes Wirken ist sehr stark von Schostakowitsch bzw. seinen Werken geprägt. Er hatte schon als Teenager im Freisinger Internat im Jahr 1958 heimlich Radio Moskau gehört. Er besorgte sich nach und nach alle erhältlichen Schallplatten mit Schostakowitschs Werken, die damals – in den 1960er und 1970er Jahren – erhältlich waren.
Die Werke des Komponisten waren ihm Vorbild für seine eigenen Werke, insbesondere die abwechslungsreiche und lebendige Dramaturgie, aber auch die musikalischen Motive.
Musik ist für Uwe Dick bewegliche Architektur. Diese versuchte er mit den Mitteln des Poeten nachzugestalten (Uwe Dick: Gute Musik ist nicht berechenbar, sie überrascht und es ist nicht vorhersehbar, wie es weitergeht.)
Als er mit seiner Frau wieder aus Dresden abreiste, hatte sich bei mir schon die Vorstellung im Kopf festgesetzt, etwas zu unternehmen, um seine Visionen Realität werden zu lassen.
Einen Monat später traf ich Volker Butzmann, den früheren technischen Direktor der Semperoper, und sprach ihn darauf an. Er nahm die Idee begeistert auf und sagte zu, sie den Verantwortlichen der Staatskapelle zu unterbreiten. Nach einem ausführlichen Gespräch mit dem Orchesterdirektor und einem weiteren Gespräch mit dem damaligen Bürgermeister von Gohrisch wurde am 22.06.2009 der Verein gegründet, der auf meinen Vorschlag hin den Namen „Schostakowitsch in Gohrisch“ erhielt.
Es war ein ausgesprochener Glücksfall, dass sowohl die Sächsische Staatskapelle als auch die Gemeinde Gohrisch nicht nur offen waren für die Idee, sondern sich sofort stark engagierten. Durch deren hohe Motivation und gutes Zusammenwirken wurde das erste Festival möglich.
Das ehemalige Regierungsheim wurde inzwischen unter Denkmalschutz gestellt und es steht zu hoffen, dass es durch zukünftige weitere Initiativen erhalten werden kann.
Der eigentliche Anstoß dafür und für das Festival war jedoch der oben erwähnte Artikel von Bernd Feuchtner. Er war die wesentliche Grundlage für die Schaffung eines Bewusstseins bei allen Beteiligten, dass es notwendig ist zu Handeln, das heißt das Andenken an den Komponisten und seine Werke an diesem Ort zu erhalten.